Der Mann, der mit Storytelling Bob Dylan in die Knie zwingt, Andy Warhol zum Weinen bringt und einen Mann befreit

 
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Der Artikel ist Teil #1 der Serie "Die besten Storyteller und was wir von ihnen lernen können"

USA. Es sind die frühen 70er Jahre. Der junge Afroamerikaner Rubin "Hurricane" Carter sitzt im Gefängnis und soll zu 300 Jahren Knast verurteilt werden. Der Grund: Er hat angeblich 3 Weiße in einer Bar in New Jersey getötet. Irgendwie ist allen klar, dass er unschuldig ist, nur interessiert es keinen von denen, die über das Schicksal von Carter entscheiden.

George Lois sitzt am Frühstückstisch und trinkt Kaffee, als er davon in der New York Times liest. Ihm ist sofort klar: Ich muss etwas tun. Der Kerl ist unschuldig. Ich muss ihn aus dem Knast zu holen. Guter Plan, aber wie? George ist kein Anwalt, er ist Kreativer einer Werbebranche. Soll er eine Kampagne für diesen Kerl entwickeln oder was?

Warum eigentlich nicht?

Eine Story mit der Durchschlagskraft einer Bombe

Als am nächsten Morgen Millionen Leser die New York Times am Frühstückstisch aufschlagen, bleibt ihnen fast der Toast im Hals stecken. Es ist nur eine kleine Story, aber mit der Durchschlagskraft einer Bombe. Mittlerweile ist auch dem letzten Zweifler klar, dass eine gute Story eine Menge ins Rollen bringen kann. Aber die hier, löst sogar einen Guerilla-Krieg zur Befreiung des unschuldigen "Hurricane" aus. Und hier ist die Story, mit der alles anfängt, was kurz darauf noch folgen soll:

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Die "kleine" Story, die etwas ganz Großes bewirkte, erschien Anfang der 70er in der New York Times. Diese kleine Story bringt dem mutigen Kreativen Lois die Unterstützung von 82 bekannten Persönlichkeiten.

Darunter Leute wie

Harry Belafonte

Ellen Burstyn

Johnny Cash

Norman Mailer

Arthur Penn

Burt Reynolds

und Muhammad Ali 

...führt persönlich den Protestmarsch an.

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Es folgen ihm mehr als 100.000 Anhänger. Die Presse bringt hunderte Artikel und der Fall "Hurricane" geht durchs ganze Land.

Viel erreicht mit einer kleinen Story, aber frei ist "Hurricane" immern noch nicht. Die Zeit vergeht, der Fall droht in Vergessenheit zu geraten. Mittlerweile sitzt der arme Kerl schon über 10 Jahre und Lois - der immer noch nicht aufgibt - fragt sich:

Was wäre wenn…

...ich Bob Dylan dazu bringen könnte…

...einen Protest-Song zu schreiben…

...den er live im Madison Square Garden spielt…

...um noch mehr Menschen zu erreichen…

...damit die Menschen die Story von Hurricane weiter und weiter erzählen – solange, bis sie etwas verändert?

Lois telefoniert. Er bettelt und fleht sich bis zu Dylan durch. Dann bettelt und fleht er ihm so lange ins Ohr - bis er – BOB DYLAN – endlich einknickt und zu einem Treffen bereit ist. Backstage nach einem Konzert bequatscht Lois ihn weiter. Dylan flieht. Aber drei Wochen später hat Dylan den Song "Hurricane" geschrieben. Das erste Konzert spielt Dylan im Gefängnis. Das zweite im Madison Square Garden.

Die Story wächst und wächst. Die Story wird weiter und weiter erzählt. Breitet sich im ganzen Land aus. Der Druck auf die Behörden wird größer, stärker – und ignorieren geht jetzt nicht mehr. Der Fall wird neu verhandelt.

1988 – endlich das Urteil des Obersten Gerichtshofes: Carter wurde zu Unrecht verurteilt.

1990 - nach 22 Jahren Gefängnis - ist Carter ein freier Mann.

Ein echter Mad Man, gegen den Don Draper wirkt wie eine Schlaftablette

George Lois war so was wie der erste Rockstar der Werbebranche. Ein Enfant Terrible und Provokateur, der sich mit seiner Kreativität für das Gute eingesetzt hat und seine effektivste Waffe war Storytelling – ob mit Worten, Bildern, Fotografien oder Design. Seine Ideen, seine Stories, seine Konzepte waren immer echt, immer ehrlich und er hat sie immer mit vollem Einsatz entwickelt und kommuniziert.

Er hat Storytelling angewendet, bevor das Wort im Marketing überhaupt bekannt war. Er hat Purpose auf die Straße gebracht, lange bevor es zur leeren Worthülse verkommen ist. Und er hat für seine Werte und Überzeugungen eingestanden, zu einer Zeit, in der es alles andere war als ein Trend und zum guten Ton gehörte.

Lois hat sich für den Kampf gegen Rassismus stark gemacht. Selbst dann noch, als er deswegen große Kunden und Werbe-Etats verloren hat. Er hat Krach gemacht gegen den Vietnam-Krieg, hat sich gegen Gewalt an Frauen ausgesprochen, in einer Zeit, in der so was als lächerlich abgetan wurde. Und er hat sich für den Feminismus stark gemacht, in einer Zeit, in der der Feminismus in Amerika so ähnlich geächtet wurde wie der Kommunismus. Ein echter Mad Man, gegen den Don Draper wirkt wie eine Schlaftablette. Selbst heute - mit über 80 Jahren - versprüht der Mann Funken vor Energie. Und er hat viele gute Stories auf Lager.

Kommunikation kann Kunst sein, auch wenn sie kommerziellen Zwecken dient

Lois war auch vielleicht der erste Werber, der wusste, das die beste Werbung mehr sein kann als nur Werbung. Dass sie eine gute Story erzählen kann, die die Leute bewegt, motiviert und inspiriert. Werbung ist Kommunikation und kann genau wie der Film, der Roman oder das Bild eine Story erzählen, die etwas verändert – uns verändert.Werbung war für ihn echte Kommunikation. Und die hat er bis zur Kunstform perfektioniert: Einige Cover für das Esquire Magazin, die Lois gestaltet hat, hängen heute im Museum of Modern Art. Für ein Cover hat er Muhammad Ali - mit Pfeilen gespickt - als Heiligen Sebastian dargestellt, um auf heikle Fragen zu Vietnamkrieg, Rassendiskriminierung und Religion anzuspielen. Lois sagt selbst:

Die Reaktionen auf das Bild waren so stark und das Bild ist so gewaltig, dass die meisten Leute heute noch wissen, wo sie damals waren, als sie es zum ersten Mal gesehen haben. 

Das Cover zählt heute noch als das Beste Magazin-Cover aller Zeiten.

Und es sieht so aus:

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Muhammad Ali als Heiliger Sebastian auf dem Esquire-Cover

Andy Warhol versinkt in seiner eigenen Suppendose

Für eine andere Ausgabe des Esquire Magazins gestaltet Lois ein Cover auf dem Andy Warhol in einer gigantischen Campbell's Suppendose versinkt. Warhol ist so begeistert und verzückt, dass er zum Telefon greift und Lois anruft. Er fleht ihn an, ihm das Original im Austausch gegen eins seiner Gemälde der Campbell's Suppendosen zu überlassen.

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Lois sagt: Nö.

Er will es lieber eines Tages dem MOMA spenden. Der Typ ist nicht nur ein großer Storyteller, er hat nicht nur verdammt viel Mut, er ist auch verdammt cool. Ich meine, wer sagt schon zu Andy Warhol nein? Und er hat es durchgezogen: 2008 spendet er tatsächlich seinen Entwurf für das Esquire Cover dem MOMA.

BTW: Das Gemälde von Warhol wäre heute mehrere Millionen Dollar wert - but: so what?

Ja, starke Kommunikation kann für uns sein, was Kunst, ein Film, eine Serie oder ein Buch ist oder zumindest eine ähnliche Wirkung erzielen. Lois hat mal gesagt:

Ich habe meine kreative Arbeit aus meiner Verbundenheit zur Kunst geschaffen und nicht zur Wissenschaft. Auch wenn sie kommerziellen Zwecken dient.

George Lois

MTV war kein Hit - und dann kommt Lois

Er hat den Musiksender MTV, der später ganze Generationen geprägt hat (ich geb’s zu: auch mich) zum absoluten Kult gemacht. Anfangs war MTV alles andere als ein Hit und drohte ganz schnell wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Niemand wollte diesen Quatsch sehen. Aber dann kam Lois und hat die größten Rockstars und Popikonen dazu gebracht, seinen ausgedachten Slogan I WANT MY MTV! in die Kamera zu schreien - ja, selbst Mick Jagger hat für Lois I WANT MY MTV! gebrüllt.

Er macht aus einem völlig unbekannten Designer den weltberühmten Designer Tommy Hilfiger - über Nacht

Mit nur einem Billboard.

Mit einer Story.

Vier Headlines und ein bisschen Copy.

That's it.

Eine Story, die den Betrachter auffordert, die Lücken selbst zu füllen. Ähnlich wie Hemingway’s Eisberg-Methode. Nicht alles verraten. Überlass es dem Leser Schlüsse zu ziehen. Ein gutes Beispiel dafür, wie man auch ohne fettes Budget eine große Wirkung erzielen kann.

Die Story macht die Runde und macht ihr Versprechen wahr:

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Am nächsten Tag zählt Hilfiger zu den vier größten amerikanischen Designer der Welt - neben Calvin Klein, Ralph Lauren und Perry Ellis.

Eine interaktive Story – in bester Hemingway-Manier

Was wir von George Lois über Storytelling lernen können

Wenn man sich die Arbeiten von George Lois anschaut, seinen TED-Talk und die Dokus über ihn, dann hält man erstmal ehrfürchtig inne. Danach wird einem klar: Lois war durch und durch besessen von starken, kreativen Ideen – von Stories, die uns und die Welt verändern können.

Viele seiner Arbeiten sind besser als vieles, was sonst Künstler zustande bringen - von der heutigen Werbung gar nicht zu sprechen. Aber klar, es war Werbung, was er gemacht hat. Unglaublich erfolgreiche Werbung - die verkauft hat. Dank gutem, starkem und echtem Storytelling.

Storytelling, das einen Mann aus dem Knast holt

Storytelling, das Bob Dylan in die Knie zwingt

Storytelling, da Andy Warhol zum Weinen bringt

Nachdem ich mich lange mit dem Werk von George Lois beschäftigt habe, frage ich mich: Was könnten wir heute mit gutem Storytelling alles bewirken? Die Hurricane-Story ist heute immer noch relevant – nein – betrachten wir den Fall George Floyd, das was gerade in den USA passiert und Trump – ist die Story relevanter denn je.

Wie können Marken, Kreative – wir alle – Storytelling mehr dafür einsetzen, um wirklich etwas zu bewirken? Probleme haben wir genug zu lösen. Und jedes Problem macht eine Story besser, dringlicher, relevanter.

Eine großartige Story braucht Seele und Herz und vor allem Mut

Lois hat sich nie mit Mittelmaß zufrieden gegeben. Ist ist nie auf "Nummer sicher" gegangen. Egal was er gemacht hat, er war nie langweilig. Er hat sich selbst immer so lange weitergetrieben, bis er mit dem Ergebnis wirklich zufrieden war. Bis es echt war. Er wusste, eine großartige Story braucht Seele und Herz - das beginnt vielleicht im Kopf, kommt aber aus dem Bauch heraus - nicht aus dem Kopf. Du musst Herz und Seele in deine Story stecken.

Und er hat die Leute immer bestärkt: Egal wer du bist und was du tust, ob du Werbung machst, Songs schreibst, zeichnest, Filme machst, Gedichte schreibst, Bilder malst, Apps entwickelst, Autos baust oder ein Start Up führst - was auch immer, wenn du den Mut hast, hervorragende Arbeit zu erschaffen und sie zu verteidigen, dann wirst du dich nie wieder mit dem Mittelmaß zufrieden geben.

Das braucht Leidenschaft. Ehrlichkeit. Aber vor allem: Mut.

Ich glaube jeder - egal ob im Marketing, in einem Start-up oder als Personal Brand - kann von Lois lernen. Und wenn es nur ist, sich das nächste Mal bei einer neuen Kampagne, einem Posting, einem Blogartikel, einer Anzeige, einem Talk oder einer Präsentation zu fragen: Ist das wirklich ehrlich? Ist es interessant? Geht es in der Story, um mehr als nur um mich, um mein Produkt, meinen Service? Ist das Thema meiner Story relevant? Bringt die Brand Story die Leute zum Nicken, Innehalten, Schmunzeln, Nachdenken?

- Oatly's Mission: Menschen eine deutlich nachhaltigere Milch-Alternative bieten – verpackt in einer großartigen Brand Story

- Warby Parker macht Brillen bezahlbar und mit ihrem Storytelling zu einem stylischen Fashion-Accessoire, das Spaß macht

- Aquafior (einer unserer Kunden) versorgt dich zu Hause mit nachhaltigem und reinem Trinkwasser. Ihre Vision: Unseren Planeten von Plastikflaschen befreien - Schluck für Schluck

Es muss nicht gleich der Weltfrieden sein. Aber Marken, die unser Leben oder unsere Welt nicht wenigstens ein bisschen besser machen – machen einfach keinen Sinn mehr. Und hast du ein gutes Produkt oder Service, mit dem du das Leben deines Publikums oder unseren Planeten jeden Tag ein bissen besser machst – dann ist das der Beginn einer großen, einer guten Story – einer Story, die wir gerne hören und weiter erzählen wollen. 

Wenn wir auch wie George Lois daran glauben, dass eine relevante Story so gut wie JEDES Problem lösen kann, treibt es uns vielleicht an, in Zukunft nach einer wirklich aufregenden Story zu suchen. Auch wenn die Idee erstmal provoziert und das ist gut. Du musst etwas riskieren.

Wenn du nicht ein wenig Angst davor hast, taugt sie nicht. Dann ist sie vielleicht nett. Aber eine nette Idee hatte noch nie die Durchschlagskraft einer Bombe. Und die brauchen Marken und Personal Brands heute, wenn sie in unserer lauten und schnellen Welt gehört, gesehen und gefunden werden wollen.

In diesem Sinne: Mach deine Story interessant, mach sie zur Story deines Publikums und never being medicore! 

Noch eins bevor Du gehst: Wenn Du jetzt denkst: Hm – George Lois scheint ein guter Typ zu sein, von dem man noch was lernen kann – dann hab ich hier noch einen Lesetipp für dich: 

George Lois - Verdammt gute Tipps (für Leute mit Talent)

 
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